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Geplante Arbeitsplattform-Richtlinie Die EU-Kommission zündelt mit unserem Lebens- und Erwerbsmodell

Explosiver Vorschlag aus Brüssel: Selbstständige, die sich über Plattformen im weitesten Sinne vermarkten, stehen einmal mehr unter dem Generalverdacht der Scheinselbstständigkeit

Gute Idee, fatale Auswirkung: Mit ihrem Richtlinienvorschlag zur Regulierung von Arbeitsplattformen will die EU-Kommission vordergründig Scheinselbstständige in prekären Jobs absichern. Gleichzeitig stellt sie alle echten Selbstständigen, die Aufträge über das Internet akquirieren, einmal mehr unter Generalverdacht – und ihre Auftraggeber mit dazu. Was geplant ist und wofür wir kämpfen.

Weitgehend unbemerkt plant die EU-Kommission neue Regeln für die Plattformökonomie – mit dem Potential einer zweiten DSGVO: Fast jedes Online-Portal, jede Agentur, jeder Vermittler bis hin zu Marketingdienstleistern, über die Selbstständige Aufträge akquirieren, droht zur "digitalen Arbeitsplattform" zu werden, für die die neuen Regeln gelten. Es fehlt an einer klaren Abgrenzung.

Gut gedacht, schlecht gemacht

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Das sieht der Vorschlag für eine "Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit", COM(2021) 762 final vom 9. Dezember 2021, auch zu finden unter 2021/0414 (COD) (deutsche Übersetzung unter BR DS 846/21) vor, der derzeit in Brüssel und Berlin beraten wird.

Mit ihrer Richtlinie will die EU vordergründig all die Fahrradkuriere, Supermarktfahrer oder Haushaltskräfte, deren "Aufträge" primär über eine App, ein Portal koordiniert, kontrolliert, gewertet und dank ausgeklügelter Algorithmen gemanagt werden, sozial absichern. Der Grund: Unterschiedliche Urteile, fehlende oder divergierende Regelungen in den Mitgliedsstaaten erschweren vielfach die Durchsetzung von Arbeitnehmerschutzrechten und besseren Arbeitsbedingungen für diese spezielle Gruppe.

Fatale Idee: "One-fits-all" im Digitalen

Nahezu unbekannt ist jedoch die Reichweite der geplanten "One-fits-all"-Regelung: Fast alle Selbstständigen könnten in der einen oder anderen Form betroffen sein. Wer via Internet Aufträge erhält, muss um seinen Status als Selbstständige/r bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) fürchten. Warum?

Kommt die Richtlinie wirklich so wie vorgeschlagen, erklärt man Selbstständige, die ihre Dienste zeitgemäß vermarkten, qua Gesetz zu Beschäftigten! Die "Plattform" muss dann erst mal das Gegenteil beweisen. Das sehen die aktuell geplanten Artikel 2, 4 und 5 vor. "Aufgrund eines unklar abgegrenzten und viel zu breit gefassten Plattformbegriffs und einer fatalen Beweislastumkehr geraten Solo-Selbstständige unter größeren Generalverdacht der Scheinselbstständigkeit als je zuvor", befürchtet VGSD-Vorstand Andreas Lutz.

Fast alles ist Plattform

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Der Begriff wird in der Richtlinie sehr weit gefasst. Einzig "Anbieter von Dienstleistungen, deren Hauptzweck in der Nutzung oder im Angebot von Gütern besteht", sind ausgenommen.

Artikel 2 der Arbeitsplattform-Richtlinie: Welches Unternehmen fällt da nicht drunter?

Dass diese Kriterien zu weit sind, haben auch fünf Ausschüsse des Bundesrats Ende Februar erkannt. In ihren Empfehlungen für die Bundesratssitzung am 11. März 2022 schreiben sie, dass "nahezu jedes Unternehmen, das zur Erfüllung von Dienstleistungen eigene Beschäftigte, Subunternehmer oder freie Mitarbeiter heranzieht" schon als Plattform eingeordnet werde könne, wenn die "Dienstleistung zumindest teilweise auf elektronischem Wege [bereitgestellt wird]".

Beschlussempfehlung von Ausschüssen im Bundesrat: Die Plattform-Definition bedarf einer Nachbesserung (Ziff. 6)

Millionen neue Arbeitnehmer, Milliarden für die Rentenkassen

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Für die Sozialsysteme in der EU ist das hilfreich. Die EU-Kommission geht von 28 Millionen Menschen aus, die über Plattformen innerhalb der EU tätig sind. Interessanterweise ist dies auch die Zahl aller Selbstständigen in der EU – wobei es sich nicht um einen identischen Personenkreis handelt, aber aus EU-Sicht wohl eine sehr große Schnittmenge besteht. Bis zum Jahr 2025 sollen es laut einer von der EU-Kommission beauftragten Studie bis zu 43 Millionen Plattform-Tätige sein.

Nur jeder Zehnte sei als Arbeitnehmer bei einer Plattform gemeldet, rechnet die EU-Kommission vor. Der Großteil seien Selbstständige. Nach eigenen Angaben sieht die EU-Kommission 5,5 Millionen dem falschen Beschäftigungsstatus zugeordnet.

Es handelt sich dabei um Schätzungen. An anderer Stelle im Richtlinienvorschlag heißt es unter dem Punkt "Folgenabschätzung", dass künftig "zwischen 1,72 […] und 4,1 Millionen Personen als Arbeitnehmer eingestuft werden" [könnten]". Bis zu 3,8 Millionen Menschen würden dagegen eine Bestätigung ihres Status als Selbstständige erhalten, heißt es etwas später.

Nur eines scheint klar: Das Ziel. "Mitgliedstaaten [könnten] in den Genuss von bis zu 4 Mrd. EUR an höheren Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen pro Jahr gelangen."

4,5 Milliarden Mehrbelastung

Auf der Kostenseite schätzt die EU nochmals 500 Millionen Euro zusätzlichen Aufwand pro Jahr, ob für Verwaltungsaufwand oder Strafen bleibt unklar. Unklar bleibt auch, warum die Kommission nur eine Belastung für die Plattformen und Verbraucher erkennt – so als ob die Plattformen Mehrkosten nicht auch an die Selbstständigen weitergeben würde und als sei ihr Plattformbegriff auf Geschäftsmodelle mit Privatkunden begrenzt:

"Die Maßnahmen zur Eindämmung des Risikos der Falscheinstufung könnten zu jährlichen Mehrkosten für Plattformen in Höhe von bis zu 4,5 Mrd. EUR führen. Unternehmen, bei denen eine Falscheinstufung vorliegt, und Verbraucher könnten einen Teil dieser Kosten tragen, je nachdem, wie die digitale Arbeitsplattformen beschließen, sie an Dritte weiterzugeben", heißt es im Richtlinienvorschlag.

Mach den Praxischeck: Bist du nach dieser Richtlinie noch selbstständig?

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Unser Ziel ist es, uns für eine realitätsnahe und verlässliche Rechtssetzung zum Wohle der Selbstständigen einzusetzen.
 
Wie schnell wir alle betroffen sind, zeigt dir dieser Test. Wir haben die geplanten Kriterien, die nahezu jeden Web-Dienstleister zu "digitalen Plattformen" macht, für dich zusammengefasst.

Praxischeck: Bist du betroffen?

Akquirierst du Aufträge über Webseiten, Apps, Agenturen oder Vermittler bzw. nutzen Auftraggeber solche Internetplattformen, um die Zusammenarbeit mit dir effektiver zu organisieren? Fällt dein Auftraggeber bzw. Vermittler somit unter den neuen (sehr weiten) Begriff einer "Plattform"?

"Kontrolliert" diese deine Arbeitsleistung in Hinblick auf folgende Aspekte? Versetze dich in die Rolle eines DRV-Prüfers und zähle bitte deine Ja-Antworten:

  1. Bestimmt die "Plattform" die Höhe deiner Vergütung oder legt sie Obergrenzen fest?
  2. Hast du bestimmte Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Empfänger deiner Dienstleistung (z.B. Kunde) bzw. in Bezug auf deine Arbeitsleistung einzuhalten?
  3. Überwacht die "Plattform" deine Arbeitsleistung oder überprüft sie die Qualität der Arbeitsergebnisse, auch auf elektronischem Wege (zum Beispiel mit einem Feedbackformular)?
  4. Schränkt die Plattform deine Freiheit, die Arbeit zu organisieren ein – insbesondere hinsichtlich Arbeitszeit oder Abwesenheitszeiten –, ein oder Aufgaben an- bzw. abzulehnen oder die Dienste von Unterauftragnehmern oder Ersatzkräften für dich in Anspruch zu nehmen, auch durch den Einsatz von Sanktionen?
  5. Schränkt die Plattform deine Möglichkeit ein, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen?

Auswertung: Treffen zwei oder mehr Kriterien auf dich zu, dann wird die DRV dich als scheinselbstständig ansehen. Die Kriterien sind dem geplanten Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie entnommen.

Bitte nutze die Kommentarfunktion unten (auch anonym möglich), um deine Ergebnisse mit uns zu teilen: Auf welche Art von "Plattformen" beziehst du dich? Welche der fünf Kriterien wären in deinem Fall erfüllt? Was wäre die Folge? Wie sollten deines Erachtens die Kriterien ausgestaltet sein?

Deine Überlegungen sind wichtig für uns, um den Verantwortlichen konkrete Praxisbeispiele für fälschlicherweise als "Plattformen" kategorisierte Auftraggeber bzw. Vermittler geben zu können.

Möchtest du mehr über die geplanten Regelungen wissen? In einem eigenen Beitrag haben wir den EU-Richtlinien-Entwurf für dich unter die Lupe genommen.

Frag den VGSD: Antworten auf deine Fragen zu diesem Thema

Unter "Frag den VGSD" kannst du selbst Fragen stellen und findest Antworten von Mitgliedern und aus ausgewählten Experten-Talks rund um das Thema "Scheinselbstständigkeit". Hier einige Beispiele:

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